| Das will ich wissen!Was passiert, wenn ich 30 Minuten in der Luft stehen bleiben könnte?
Hier die Antwort, bei Markus Lanz:
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Als ich vor über 43 Jahren meine Lehre als Koch begann, hätte ich es mir nicht träumen lassen, einmal in der Küche eines Alten- und Pflegeheimes zu stehen. Selbst mein Kollege Peter, der nach seiner Lehrzeit eine Stelle in einem großen Krankenhaus antreten wollte, wurde von uns Lehrlingen allgemein mit Unverständnis, wenn nicht gar ein bisschen Verachtung bedacht. Die große Küche wollten wir kennen lernen, möglichst gleich auch noch die große Welt mit Hilfe eines Jobs auf einem Kreuzfahrtschiff, das war damals der Traum von uns allen. Währenddessen standen die Köche im Altersheim, so dachten wir zumindest, an ihrem großen Mixer, mit dem sie ihr ohnehin schon fast zu Matsch gekochtes Essen in einen optischen Zustand brächten, dessen bloße Vorstellung in unseren Augen schon Brechreiz auslöste. Und so standen wir lieber am Herd eines a la carte Restaurants, hantierten schweißgebadet mit zahllosen Töpfen und Pfannen, ertrugen das Geschrei der Kellner, die auf ihr Essen schon „ewig“ warteten , und das des Küchenchefs, dem das Produkt unserer Arbeit auch niemals perfekt genug war. Wenn wir dann, völlig geschafft vom Stress und der hektischen Arbeit, spätabends nach Hause fuhren, endete der Tag immer öfter in einem der wenigen so spät noch geöffneten Lokale. Dort bot die wenig geistreiche Kommunikation mit dem traurigen Rest von angetrunkenen Nachtschwärmern einen nur dürftigen Ersatz für normales Familienleben und einen großen Bekanntenkreis. Trafen wir am frühen Morgen auf dem Heimweg aus der Kneipe einige dieser, in unseren Augen bedauernswerten Menschen, die zu solch nachtschlafener Zeit zur Arbeit mussten, dann konnten wir uns noch viel weniger mit dieser Variante des Kochberufes anfreunden. Wie sehr Vorurteile und ungenaue Information ein völlig falsches Bild von der Wirklichkeit entstehen lassen, konnte ich schon am ersten Tag meiner Tätigkeit in der Küche eines Zeulenrodaer Altenheimes erleben. Da saßen nun an die 70 Damen und einige wenige Herren im von uns versorgten Speisesaal, und warteten mit leuchtenden Augen auf einen der seltenen Höhepunkte ihres an Attraktionen wahrlich nicht reichen Tages. Auf das Mittagessen. Schon Stunden zuvor, wenn nicht überhaupt am Vortag, war man interessiert das Angebot auf dem Wochenplan durchgegangen, diskutierte über die „richtige“ oder „falsche“ Zusammenstellung der Menüs, monierte das Fehlen ihres Lieblingsgerichts, das es ja „schon wochenlang nicht mehr gegeben“ habe. Dass genau dieses Gericht erst vorgestern auf dem Speiseplan stand, wie der ob dieses Vorwurfs leicht gekränkte Koch einwendete, konnte selbstverständlich gar nicht möglich sein. Und wenn man dann, nach langem hin und her, diese Tatsache nicht mehr in Abrede stellte, war das Fleisch damals sowieso wieder viel zu hart! Aber lassen wir sie doch schimpfen! Wer kritisiert, zeigt, dass er das Produkt unserer Arbeit ernst nimmt. Was besseres kann uns doch gar nicht passieren. Würden alle das Essen grundsätzlich gut finden, wie langweilig wäre das doch. Denn in jeder Kritik steckt zumindest ein kleines Körnchen Wahrheit. Und wenn wir Kritik annehmen, können wir auch das dann eher ernstgemeinte Lob um so mehr genießen! Die meisten Bewohner im Altenheim sind ja Frauen, der Großteil davon hat jahre- oder jahrzehntelang Mann und Kinder bekocht, Freunde und Verwandte zum Essen eingeladen, nun sind sie plötzlich in die passive Rolle des Essensempfängers abgeschoben worden. Für viele ist diese Rolle gar nicht so schön, nicht mehr kochen zu müssen. Bisher hatten sie entschieden, was es zu Essen gab, wie es abgeschmeckt wurde, nun machen wir das für sie. Geben wir ihnen dann doch wenigstens die Möglichkeit, ein bisschen mitzureden. Außerdem, Hand aufs Herz, schmeckt uns selbst wirklich immer alles? Müssten wir jahrelang von morgens bis abends immer das essen, was ein anderer uns vorgibt, egal ob nun ein oder zwei Essen zur Auswahl stehen, würde uns das immer gefallen? Auch wenn ich sonst noch so gerne Gulasch esse, gerade heute möchte ich vielleicht keines. Müssen wir selbst mal eine aufwendige Zahnbehandlung über uns ergehen lassen, so möchten wir kurz danach bestimmt kein knuspriges Schnitzel oder knackiges Gemüse genießen. Unsere Bewohner haben auf Grund ihrer meist chronischen Zahnprobleme täglich damit zu kämpfen. Können wir ihnen dann das Meckern über zu hartes Fleisch etc. verdenken? Ich denke, nein!
Auf der anderen Seite sind wir Köche dem Diktat des Küchenbudgets ausgeliefert, sollen mit unseren vier, fünf Euro pro Tag einem Bewohner Frühstück, Mittagessen, Kaffee und Kuchen sowie das Abendbrot liefern, und das mit möglichst vielen (und teuren) Highlights. Auch die Personaldecke, die auf Grund der Kostensituation im Altenheimbereich sowieso immer dünner wird, gibt nicht immer das her, was wir uns wünschen würden. Trotzdem schaffen es die meisten von uns immer wieder, einen abwechslungsreichen, saisongerechten Speiseplan aufzustellen, der sowohl vom Großteil der Essensteilnehmer angenommen wird, als auch die Pflegedienstleitung zufrieden stellt, im Hinblick auf die speziellen Ernährungsrichtlinien für alte Menschen. Wir sind schließlich Köche, haben auch bisher schon überall versucht, die Ansprüche unserer Klientel zu erkennen und zu befriedigen. Ob unsere Gäste nun Geschäftsleute waren, Feinschmecker, figurbewusste Damen oder hungrige Sportler, sie waren die Kunden, die wir mit unserem Essensangebot zufrieden stellen mussten. Nun sind unsere Kunden eben Senioren, denen wir aber nicht einen Deut weniger Aufmerksamkeit widmen dürfen. Da wir aus unseren Fortbildungsseminaren wissen, dass sich im Alter auch das Geschmacksempfinden ändert, sollten wir unser eigenes Idealbild von Geschmack mal hintan stellen. Das Essen soll ja nicht uns schmecken, sondern unseren Gästen.
Natürlich ändert sich nichts an dem Grundproblem jedes Kochs, der für mehrere Leute kochen muss, dass er immer versucht, einen Mittelweg zu finden. Einem Jeden recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Ein weiteres Dilemma, in dem wir uns befinden, sind die Dogmen der Ernährungslehre, wenig Salz, wenig Fett, wenig Gewürze, weniger Zucker. Dem steht diametral der Geschmack unserer Bewohner entgegen, die genau diese Sachen lieben. Wenn deren Geschmackserlebnisse auf Grund altersbedingter Veränderungen ohnehin immer seltener werden, verlangen sie um so mehr nach Dingen, die wir ihnen nach dem Rat der Experten eigentlich gar nicht geben dürften. Auf der anderen Seite steht dann wieder der Anspruch , die Würde der Menschen zu beachten, sie nicht zu bevormunden und ihnen so weit als irgend möglich, die freie Wahl der Entscheidung zu überlassen.
Ich habe mir inzwischen abgewöhnt, die Speisen leicht salzarm zuzubereiten. Da wir aus oben genannten Gründen auf einigen Tischen Salzstreuer,Zuckerspender und Maggiflaschen stehen haben, verleitet eine derartige Zubereitung nur zum Nachsalzen. Und damit nimmt jeder im Endeffekt mehr Salz zu sich, als er bei normaler Salzbeigabe zum Essen bekommen hätte. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein, auch nicht der Rat, man solle das Nachsalzen durch die Bewohner kontrollieren. Wo bleibt da die Menschenwürde? Entscheidend ist ja nicht, was man erreichen will, sondern was man tatsächlich erreicht. Und eine pikante Würzung der Gerichte, (es muss ja nicht gleich scharf wie die Hölle sein), gibt dem Essensteilnehmer das Gefühl, es schmeckt, und zwingt ihn deshalb nicht dazu, nachzuwürzen, mit dem vorhin beschriebenen negativen Ergebnis.
Eines unser größten Probleme ist die Kritik, das Fleisch wäre zu hart, zu zäh, etc. Wir haben uns ja ohnehin angewöhnt, gebratene oder geschmorte Fleischstücke nach normal langer Zubereitungszeit zu portionieren und anschließend die fertig portionierten Scheiben weich zu dünsten. Manchmal hat man schon Mühe, das Fleisch überhaupt noch heil auf den Teller oder die Platte zu bekommen. Trotzdem kommt die Beschwerde, das Fleisch ist viel zu hart. Ich denke, es liegt meistens an der Fleischfaser. Je kleiner man die Fleischstücke portioniert, desto dicker werden die einzelnen Scheiben. Und umso länger sind dann die einzelnen Fleischfasern. Auf diesen wird dann endlos rumgekaut, mit dem bekannten Ergebnis. Das kann man verhindern, indem man die Scheiben vom Schweine- oder Rinderbraten möglichst dünn schneidet. Ich habe bei meinem ersten diesbezüglichen Versuch nur positive Reaktionen erlebt. Nicht zuletzt ist die Schärfe der Tafelmesser ein wichtiger Aspekt bei dieser Sache. Das Eindecken der Tische mit Steakmessern würde Wunder wirken!
Des weiteren habe ich keine Scheu davor, Halbfertigprodukte wie Tiefkühlgemüse, Saucenpaste und ähnliches im Rezept zu verwenden. Was nützt uns z.B. der schönste frische Rosenkohl, wenn wir ihn dann nach zeitraubendem Putzen solange kochen, bis ihn auch „Frau Meier, die mit den Blähungen“ unbesorgt genießen kann. Die viel gelobten Vitamine der Frischware sind ohnehin meist nur noch theoretisch vorhanden, wenn das „frische“ Gemüse nach tagelanger Bahnfahrt aus Italien oder sonstwo am Großmarkt und danach bei uns angelangt ist. Da verwende ich die gesparte Zeit lieber für zwei oder drei Rohkostsalate, schäle Möhren, Kohlrabi etc. und raspele sie von Hand, so dass selbst die vielzitierte Frau Meier, diesmal die mit dem kaputten Gebiss, in den Genuss von vitaminreicher und schmackhafter Frischware kommen kann. Auch ein selbst hergestellter Dressing, aus Quark, Buttermilch, etwas Mayonnaise zur Geschmacksanhebung und mit frisch gehackten Kräutern verfeinert, ist schnell gemacht. Er ist meist billiger als ein gekaufter und ohne die in den Fertigdressing meist enthaltene scharf riechende Essigkonservierung. Sie sehen, die Probleme für mich als Koch sind nicht kleiner geworden, sie haben sich nur verlagert. Auf der einen Seite ist es manchmal schon frustrierend für mich, dass meine jetzige „Kundschaft“ wenig Interesse an Neuerungen zeigt. Aber täglich die gleichen Gäste zu versorgen, hat auch einen unschätzbaren Vorteil. Man kann sich besser auf die einzelnen Vorlieben einstellen, fast wie die Hausfrau, die für ihre Familie kocht. Das kann man im Restaurant selten. Schwer machen sie es einem schon mal, wenn ich in mühevoller Handarbeit Knoblauch und Gurken schäle und die Molke vom Joghurt abtropfen lasse, um ein original Tzatziki herzustellen und am nächsten Morgen erfahren muss, dass der Großteil davon im Abfalleimer gelandet ist. Aber alte Menschen sind halt zum Teil wie Kinder, etwas Neues zu probieren, fällt ihnen unsagbar schwer. Die Standarderklärung aller, denen ich mein Leid klage: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“ tröstet mich nicht wirklich Viel besser gefällt mir da das alte chinesische Sprichwort:
„Wer den Geschmack eines Apfels kennenlernen will, muss zuerst hinein beißen!“
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